Wie das Haus zum Kraftwerk wird



Wie das Haus zum Kraftwerk wird

Ein Wohnhaus soll in Zukunft keine Energie mehr verbrauchen, sondern sogar Stromüberschuss produzieren. Dabei muss es nicht aussehen wie ein verkabeltes Labor. Ökohäuser können exklusive Architektur vorweisen. Das beweist ein Pilotprojekt in Darmstadt. Ein Bericht von Christian Tröster
Das Haus der Zukunft steht auf einer Wiese in Darmstadt. Es ist rechteckig und besteht größtenteils aus Holz. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein schlichtes Designobjekt, doch der technische Hintergrund ist spektakulär. Das Haus verbraucht keine Energie, sondern kann selbst so viel produzieren, dass eine ansehnliche Menge Strom ins Netz eingespeist werden kann.

Konzipiert wurde das „Year 2015 Prototype Home“ von Architekturstudenten der Technischen Universität Darmstadt. Und das hat einen weiteren Vorteil: Das Solarhaus ist ein Hingucker. Herausstechende Solarpaneele, Gerüste und Ständerwerk sucht man vergeblich. „Wir wollen beweisen, dass ein energieeffizientes Haus genauso ansprechend ist wie ein ganz gewöhnliches Wohnhaus“, sagt Student Patrick Ungermann.

Wie viel Energie das Haus wirklich erzeugen kann, soll es in wenigen Wochen in einem Wettbewerb in den USA beweisen. Dort tritt das Darmstädter Team gegen 19 konkurrierende Hausmodelle weiterer Teams aus verschiedenen Ländern an. Zurzeit wird es auseinandergebaut, bald verschifft und in Washington wieder zusammengesetzt. Seine besonderen Eigenschaften sieht man dem Darmstädter Haus nicht an. Die Studierenden um Professor Manfred Hecker entwickelten einen schlichten Holzbungalow mit kleiner Veranda. Rundum ist er mit Fensterläden verkleidet. In seinem Inneren erstreckt sich ein offener Raum um einen Kern aus Küche und Bad. Keine Spur ist zu sehen von aufwendiger Technik oder monströsen Wärmedämmungen. Und auch die Solarzellen wurden diskret verborgen: flach auf dem Dach sowie in schmalen Streifen auf den zahlreichen Lammellen der hohen Fensterläden.

Die Läden sind eine Eigenentwicklung der Studenten. Jede einzelne Holzleiste musste diskret verkabelt werden, wobei die Läden beweglich bleiben sollten. Doch die Studenten schrecken solche Tüfteleien nicht. „Es gibt im Wohnungsbau gegenüber der Automobilindustrie einen Innovationsrückstand“, sagt Simon Gallner, der mit Patrick Ungermann zusammen die Bauleitung innehatte. Und ihre Dozentin, Andrea Georgi-Tomas, ergänzt: „Ingenieure haben uns geraten, die Fotovoltaikzellen einfach an die Fassaden zu schrauben. Aber wir sind Architekten und wollten ein Konzept, das auch die Ästhetik mit einbezieht.“

In der Tat sind Gesamterscheinung und Grundriss gravierende Faktoren des amerikanischen Wettbewerbs. Weil die Auslober, das US-Energieministerium, keine akademischen Spielereien fördern wollen, sondern Konzepte, die sich später auf dem Markt behaupten können, wird die Architektur im Zehnkampf mit doppelter Punktzahl bewertet. Dazu gehen „Behaglichkeit“ und „Licht“ als je eigene Disziplinen in die Wertung ein. Weitere Punkte kann man für die Haustechnik sammeln oder dafür, dass man eine bestimmte Menge Wasser innerhalb von zehn Minuten erhitzt. Weil alle Teilnehmer mit ihren Häusern einen Energieüberschuss erwirtschaften werden, heißt die zehnte Disziplin „Getting Around“ – mit einem Elektroauto, das am Haus aufgeladen wird.

Wird das deutsche Haus in Washington Chancen haben? „Natürlich wissen wir nicht, womit die Konkurrenz aufwartet, aber in den vergangenen Jahren war es so, dass die amerikanischen Teams möglichst viel Energie produziert haben, um sie dann mit herkömmlicher Technik zu verbrauchen“, erinnert sich Patrick Ungermann.

Die Darmstädter dagegen wollen mit deutschen Tugenden punkten: effiziente Haustechnik und gute Dämmung. Daher ist das Haus auf der Nordseite vierfach verglast. Dachvorsprünge und Fensterläden verschatten die Fassade. Zusätzlich werden im Inneren Gipskartonplatten verbaut, in die Wachskügelchen eingelassen sind. Die dienen als Energiespeicher und tragen nächtliche Kühle in den Tag hinein und die Wärme des Tages in den Abend.

Nur weil diese Maßnahmen zusammen gut wirken, konnten es die Darmstädter riskieren, die Solarpaneele auf dem Dach flach zu legen. Auf diese Weise fangen sie zwar weniger Licht ein, bringen aber vielleicht die entscheidenden Punkte in der Disziplin Architektur. Stolz sind die Studenten auch auf die Idee, die gesamte Haustechnik im Sockel zu verstecken. Der Raum darüber kann flexibel genutzt werden. „Das Haus kann sich mit den Tageszeiten und den unterschiedlichen Nutzungen verändern“, sagt Simon Gallner. Ein Bett etwa kann im Boden versenkt werden. Die Esszimmermöbel können zusammengefaltet im Boden verstaut werden, und das Badezimmer wird tagsüber zu einer kleinen WC-Zelle zusammengeschoben. Auf diese Weise kann die Grundfläche von 74 Quadratmetern eine erstaunliche Großzügigkeit erreichen.

Ob all das dem Geschmack der amerikanischen Juroren entspricht, wird sich im Oktober zeigen. 17 amerikanische, ein spanisches und ein puerto-ricanisches Studententeam kämpfen dann mit den Deutschen um den Meistertitel im Solarwohnen. Bis dahin tüfteln die Darmstädter an Szenarien für unterschiedliches Wetter. Was geschieht, wenn der Himmel zwei Wochen lang bedeckt ist? Wann soll man die Waschmaschine anstellen und wann die Autobatterie laden? Derlei Finessen sind auch der Nachteil eines Hochleistungs-Solarhauses. Projektleiterin Andrea Georgi-Tomas sagt: „Ein zukünftiger Bewohner müsste sich intelligent verhalten. Sonst hätte er nicht viel von den Vorteilen des Hauses.“
Quelle:
Christian Tröster 2007 Welt am Sonntag | 09.09.2007

Der hohe Ölpreis